Bericht zum Zoom Mennonitische Familienforschung vom 06.01.2025:
Die Zoom-Gruppe zur Mennonitischen Familienforschung hatte am Montag, dem 6. Januar 2025, wieder einen Erzählabend zu Erinnerungen an die Nazizeit. Zeitzeugen waren diesmal Siegfried Claaßen, geboren 1932 in Eichwalde, Freie Stadt Danzig, und Arno Thimm, geboren 1934 in Reimerswalde, Freie Stadt Danzig. Der Abend war sehr bewegend und ließ spüren, wie tief die Traumatisierungen beider Kinder gingen, die bis heute wirken.
Siegfried Claassen erläuterte anhand einer Karte das Land, das von vielen Vorgenerationen entwässert und urbar gemacht wurde. Sein Heimatort Eichwalde liegt zwischen Tiegenhof und Marienburg, über dem Meeresspiegel in einem Bereich, der zwischen 1300 und 1400 trockengelegt worden war und durch Dämme gegen Überflutung geschützt wurde. Drei Fotos haben die Flucht überlebt: eines vom elterlichen Hof der Familie Claaßen, ein Familienfoto von Walter Claaßen und Margarethe geb. Andres mit den Kindern Claus, Siegfried, Hans-Peter, Karl-Heinz, und Jürgen, geboren zwischen 1932 und 1942 in Eichwalde, und ein Foto seiner Großmutter Margarethe Claaßen geb. Bansemer. Sie stammte aus der Gegend von Neufähr an der Danziger Bucht und war als evangelisches Dienstmädchen nach Eichwalde gekommen. Die Mennonitengemeinde nahm sie nicht auf, so besuchte sie den evangelischen Gottesdienst in Neuteich. Siegfried erinnert sich, dass er sie als Junge mit der Kutsche dorthin fuhr. Auf der Flucht 1945 erwies sich die Beziehung nach Neufähr als ein Glück. Die Straßen nach Westen waren verstopft, die Russen hinter ihnen und schon vor ihnen. Die Familie zog nordwärts Richtung Neufähr zu den Verwandten und konnte vorläufig in der Gegend unterkommen. Nach Wochen wurden sie mit kleinen Booten zu einem großen Schiff nach Hela an der Putziger Nehrung und mit ihm nach Kopenhagen gebracht. Dort wurden sie zunächst in leergeräumten Schulen, später in großen Lagern untergebracht. Die Evakuierung war noch von Deutschen organisiert worden, die Dänemark besetzt hielten. Mit dem Waffenstillstand vom 8. Mai 1945 mussten die Dänen notgedrungen die Flüchtlinge übernehmen. Sie versuchten, sie so schnell wie möglich loszuwerden. Trotzdem blieb die Familie Claaßen 3,5 Jahre in den Lagern, bis sie Ende 1948 nach Deutschland ausreisen konnten. Die Adresse war Otto Zerger auf dem Weierhof.
Die mütterlichen Verwandten waren wie alle im Dorf in der Partei. Siegfried erinnert sich an eine Familienfeier, in der seine Eltern als Nicht-Parteimitglieder wegen eines Streites nach Hause geschickt wurden. Eindrücklich blieb ein Nazi-Umzug zum 1. Mai mit Fahnen und Musik. Seine Eltern holten ihre Kinder von der Straße, damit sie nicht Heil-Hitler grüßen mussten. Im Alltag erinnert er keine Schwierigkeiten. Sein Großvater war Bürgermeister und hielt alle 14 Tage Sitzungen, Börse genannt, in denen Interessen um die Maschinengemeinschaft und die Pflege der Dämme friedlich geregelt wurden.
Arno Thimm konnte seine Erzählung mit einer Vielzahl von Fotos bereichern. Sein Vater fotografierte gerne. Als Anfang März 1945 die Flucht begann, sah ein katholischer Kaplan die Fotoalben und drängte seine Mutter, diese mitzunehmen. Auch in seinem Heimatort Reimerswalde, wenige Kilometer nordwestlich von Tiegenhof gelegen, waren die elterliche Verwandtschaft und die meisten Einwohner in der Partei. In der Schule war die große Mehrzahl der Kinder mennonitisch, so dass er keine Vorstellung davon hatte, dass die Mennoniten anderswo in der Welt eine Minderheit waren. In den 30er Jahren kam der Bürgermeister und brachte seinem Vater eine Nazi-Fahne. Der sagte, wenn ich so einen Lappen haben will, kann ich mir den selber kaufen. Es gab weiterhin weder Fahne noch Hitlerbild auf dem elterlichen Hof. Aber sein Vater wurde in den Krieg eingezogen, obwohl er als Landwirt mit sechs, später sieben Kindern, regulär auf dem Hof hätte bleiben können. Die Mutter führte den Hof mit einem polnischen und einem russischen Mädchen, sowie mit einem russischen und französichen Kriegsgefangenen, nebst weiterer Unterstützung aus dem Dorf. Im Sommer 1944 machte sein Vater während eines Heimaturlaubs ein Foto von ihr mit allen 7 Kindern vor ihr auf dem Zaun sitzend. Ein letztes Bild zeigt seine Eltern zusammen im Dezember 1944. Zuvor hatten sie schon den Weihnachtbaum geschmückt und ein Familienfoto gemacht, Vater Johannes Thimm, Mutter Lisbet Regier mit den Kindern Johannes, Egon, Arno, Otto, Udin, Lilli und Erika, geboren zwischen 1931 und 1942 in Reimerswalde. Vater Johannes musste zurück nach Leipzig und ist dort im April 1945 verschollen.
Dass es behinderte Kinder gab, ist Arno wie Siegfried nicht bekannt. Arno erinnert sich aber daran, dass seine Großmutter Florentine Adelgunde geb. Hellwig einen Spezialarzt in Danzig aufsuchte, den es irgendwann nicht mehr gab. Die jüdischen Geschäfte in Tiegenhof waren irgendwann leer. Im Sommer traf man sich in Steegen an der Danziger Bucht zum Baden. Die Kinder nahmen nichts wahr von dem nahen KZ Stutthof. Auf der Flucht 1945 dann, die die Familie Thimm ebenfalls nach Norden zu ihrer Verwandtschaft führte, sahen sie in der Nähe von Stutthof viele Menschen, die vorangetrieben wurden bis sie zusammenbrachen und dann erschossen wurden. Einen der berüchtigen Todesmärsche. Bilder, die sich unauslöschlich in das Gedächtnis von Kindern einbrannten. Auch Arnos Familie wurde schließlich am 20. April 1945 mit einem Kahn nach Hela gebracht zu einem großen Schiff, der HERKULES. Mit dabei hatten sie den französichen Kriegsgefangenen Eugen, der gebeten hatte, ihn mitzunehmen. Sie verkleideten ihn als Opa und sprechen durfte er nicht. Er schaffte es mit ihnen aufs Schiff und überstand mit ihnen den dreifachen Torpedobeschuss des Schiffes. Auf Rügen wurde das Schiff repariert. Alle kamen dann am 1. Mai in Kopenhagen an. In Viehwagons ging es nach Norden von Jüdland bei Aalborg ins Lager Lögstör. Am 5. Mai war der Krieg zu Ende und Eugen war frei und konnte das Lager verlassen. Er kam fast täglich und brachte Schokolade und Obst für die Kinder. Im Juni 1945 war für ihn alles geregelt und er konnte zurück nach Südfrankreich in seine Heimat. Einige Jahre pflegten sie noch den Kontakt. Oma Florentine Adelgunde Thimm starb am 5.Mai 1945 in Lökstör und wurde in einem weißen Sarg beerdigt.
Der nächste Termin am Montag, dem 03.02. 2025 Christina Mekelburger entfällt, weil Christina verhindert ist.
Weiter geht es am Montag dem 03.03.2025 mit Herbert Holly und den Stalter-Familien nach 1800 in Bayern. Herbert Holly hat die bayrischen Archive unermüdlich durchfostest und viele spannende Informationen gesammelt.
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