Geschichte der Täufer
Geschichte der Täufer/Mennoniten
Der Mennonitische Geschichtsverein hat die Aufgabe übernommen, die historische Erforschung der Mennonitengemeinden zu fördern. Er kümmert sich um ihre Entstehungsgeschichte im Täufertum des 16. Jahrhunderts genauso wie um die Wege des mennonitischen Gemeindelebens durch die Jahrhunderte.
Täufer. Diese Geschichte beginnt nicht mit der Gründung einer neuen Kirche. Am Anfang standen vielmehr soziale Bewegungen, die aus dem reformatorischen Aufbruch um 1520 und den Aufständen des „gemeinen Mannes“ um 1525 in der Schweiz, in Ober- und Mitteldeutschland hervorgingen. Diese Bewegungen griffen allgemeinreformatorische Losungen, vor allem das Schriftprinzip (sola scriptura), das Argument gegen die Werkgerechtigkeit (sola gratia) und die Kritik am geistlichen Stand (Priestertum aller Gläubigen) auf. Sie solidarisierten sich auch mit den Forderungen der aufständischen Bauern nach eigener Pfarrerwahl, kirchlicher Selbstbestimmung der Dorfgemeinden und Erneuerung des gesamten Lebens nach Göttlichem Recht. Sie stimmten in die Kritik am katholischen Abendmahlsverständnis ein, sie weigerten sich, ihre Kinder unmittelbar nach der Geburt zur Taufe zu tragen und führten die Erwachsenen- bzw. Glaubens- oder Bekenntnistaufe ein. Die Taufe sollte den Beginn eines neuen Lebens in der Nachfolge Jesu markieren. Damit wurde nicht nur der kirchliche Initiationsritus in Frage gestellt, sondern auch das politische, soziale und kulturelle Grundgefüge des christlichen Abendlandes untergraben, das sich mit jedem Aufnahmeakt eines Täuflings in den Leib Christi von Generation zu Generation erneuerte. Die katholischen und evangelischen Obrigkeiten sahen in den Anhängern dieser Bewegungen „Wiedertäufer“ und verfolgten sie seit 1529 reichsweit, in der Schweiz schon früher, mit der Todesstrafe. Erst in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts ließen die schweren Verfolgungen nach. In zahlreichen Herrschaftsgebieten wurden die Täufer, wie sie später genannt wurden, geduldet, sobald sie ihren aggressiven Nonkonformismus aufgaben und sich als wirtschaftlich nützliche Untertanen empfahlen. Aus aufmüpfigen, unruhigen Geistern waren die „Stillen im Lande“ geworden. Volle Bürgerrechte konnten sie allerdings erst im 19. Jahrhundert erlangen.
Das Täufertum war keine geschlossene Bewegung. In ihm sammelten sich vielmehr unterschiedlich motivierte, biblisch-reformerische, mystisch-spiritualistisch oder apokalyptisch geprägte, von religiösem Erneuerungswillen erfüllte oder von sozialen Bedürfnissen getriebene Männer und Frauen, die zwar danach strebten, sich zu Gemeinschaften oder kirchlichen Gemeinden zu verbinden, wie im Täuferreich zu Münster 1534/35 sogar mit der Absicht, die ganze Welt zu beherrschen, vorerst aber die typischen Merkmale einer sozialen Bewegung, ja, einer Vielfalt von Bewegungen aufwiesen. Soziale und religiöse Anliegen waren miteinander verknüpft. Vieles war nur angedeutet, provisorisch und experimentell, oft sogar in sich widersprüchlich. Die frühen Täufer schwankten zwischen Militanz und Friedfertigkeit. Einmal wollten sie die Missstände in der bestehenden Kirche beseitigen, ein anderes Mal sich von dieser Kirche und dem öffentlichen Leben absondern. Sie verfolgten keine gemeinsame Linie. Gemeinsam war ihnen nur die Praxis der Erwachsenentaufe, doch schon die Begründungen dieser Taufe waren unterschiedlich. Auf ganz verschiedene Weise ging es den Täufern insgesamt um eine Erneuerung der Christenheit unter den Bedingungen wechselnder Situationen.
Im Laufe des 16. Jahrhunderts hat sich die Bewegungsvielfalt der Täufer in drei unterschiedlichen Traditionslinien verdichtet: der schweizerisch-oberdeutschen, der niederdeutsch-niederländischen und der hutterischen Linie in Mähren. Allmählich führten diese Linien zu festen Gemeindegründungen. Die Schweizer Gemeinden sonderten sich von den offiziellen Kirchen und dem gesellschaftlichen Leben ab, folgten den Spuren Jesu (Nachfolge Christi), lehnten obrigkeitliche Ämter ab und entzogen sich jedem Engagement, das einen Kompromiß mit dem Grundsatz der Friedfertigkeit gefordert hätte (s. Schleitheimer Bekenntnis von 1527). Die niederländischen Gemeinden führten ebenfalls ein abgesondertes Leben, gaben aber die Hoffnung auf eine christliche Obrigkeit nicht auf und fügten sich in den Stand einer obrigkeitlich privilegierten Glaubensgemeinschaft. Ihre Gottesdienste durften sie nicht öffentlich, sondern nur „privatim“ feiern. Auch durften sie nicht, was die Täufer sich einst herausnahmen, missionarisch tätig werden. Im Laufe der Jahrhunderte brachten sie es zu wirtschaftlichem Erfolg (in Handel, Leinen- und Seidenproduktion, Entwässerung, Deichbau und Landwirtschaft), teilweise zu beträchtlichem Wohlstand und gesellschaftlicher Anerkennung. Die hutterischen Gemeinden, genannt nach ihrem Anführer Jakob Huter aus Tirol, entschieden sich für die Wiederherstellung der urchristlichen Gütergemeinschaft, überzogen Mähren mit einem Netz von Bruderhöfen, die mit ihrer kommunitär organisierten, handwerklichen Produktionsweise wirtschaftlich aufblühten, und bemühten sich, die Spiritualität der Urgemeinde auch in harten Verfolgungszeiten zu pflegen. Die rigorose Rekatholisierungspolitik in den habsburgischen Territorien und eigene Unzulänglichkeiten stürzten die Bruderhöfe in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges jedoch in eine tiefe, lebensbedrohende Krise. Reste der Hutterer wanderten über Siebenbürgen und die Walachai in die Ukraine und schließlich weiter in die Prairien Nordamerikas aus. Dort gelang es ihnen, wenn auch in veränderter Form, zur ursprünglichen Vitalität des gemeinsamen Lebens zurückzufinden.
Mennoniten. Die Gemeinden der Mennoniten gingen aus versprengten Gruppen des niederländischen Täufertums hervor, die von dem ehemaligen katholischen Priester Menno Simons aus Westfriesland nach der Niederlage des Täuferreichs zu Münster gesammelt und in ihrer Verfolgungsnot seelsorgerlich betreut wurden. So entstanden kleine, abgesonderte und leidensbereite Gemeinden, die sich der Friedfertigkeit verschrieben hatten und sich nach dem Toleranzedikt der Utrechter Union von 1572 schnell in den Niederlanden und um 1600 auch in Ostfriesland, am Niederrhein, in Altona, Hamburg, Glückstadt, Friedrichstadt an der Eider, vorher schon in Elbing, Danzig und in ländlichen Gegenden der Weichselniederung zu Gemeinden mit fester Ordnung und eigenen Versammlungshäusern entwickelten. Sie haben den Nonkonformismus des täuferischen Aufbruchs in die Gestalt obrigkeitlich privilegierter, sich selber sozial disziplinierender Gemeinden überführt und entscheidend dazu beigetragen, daß sich die Tradition der Frei- und Friedenskirchen weiterentwickeln konnte. Im 18. und 19. Jahrhundert wanderten zahlreiche Mennoniten aus Westpreußen, denen das Land knapp geworden und denen die staatliche Privilegierung der Wehrfreiheit nicht mehr sicher waren, nach Russland aus, wo sie an der Wolga und in der Ukraine Kolonien gründeten, die sich selbst verwalteten und denen Religionsfreiheit garantiert worden war. Da diese Kolonien als „Staat im Staate“ betrachtet werden konnten, war die traditionell täuferische oder mennonitische Trennung von geistlichen und weltlichen Belangen aufgegeben worden. Es entstand ein typisch mennonitisches Kolonisationsmodell, das im 20. Jahrhundert nach der Flucht vieler Mennoniten aus der Sowjetunion in den Chaco von Paraguay übertragen wurde.
Im Laufe der Zeit wurden auch die Täufer der schweizerisch-oberdeutschen Linie „Mennoniten“ genannt. In den Niederlanden heißen sie übrigens nicht Mennoniten, sondern Taufgesinnte (Doopsgezinde) und erinnern mit dieser Selbstbezeichnung wohl an die Bewegungsvielfalt ihres Ursprungs, auch an die Richtungsvielfalt der nachfolgenden Jahrhunderte (alte und junge Flamen, alte und „slappe“ Friesen, Hochdeutsche, Waterländer), weiter an konservative (Sonnisten) und freisinnige Gemeinden (Lammisten). Diese Richtungsvielfalt pflanzte sich auch in deutschen Städten und Landschaften fort.
Heute gibt es Mennonitengemeinden mit rund 1,4 Millionen Mitgliedern in allen Teilen der Welt, mit der größten Konzentration in Nordamerika und schnell wachsenden Gemeinden in Afrika und Asien – auch hier ist das Erscheinungsbild bunt und pluralistisch. Gelegentlich wird von einer „weltweiten Bruderschaft“ gesprochen, die sich heute theologisch am Erbe der Väter und im Gespräch mit allen Kirchen ökumenisch orientiert.
Literaturhinweise
Claus-Peter Clasen, Anabaptism. A Social History, 1525-1648, Ithaca und London 1972. – Hans-Jürgen Goertz, Die Täufer. Geschichte und Deutung. 2. Aufl., München 1988. – Ders., Das schwierige Erbe der Mennoniten. Aufsätze und Reden, Leipzig 2002. – Diether Götz Lichdi, Mennoniten in Geschichte und Gegenwart. Von der Täuferbewegung zur weltweiten Freikirche, o. O. 2004. – John D. Roth und James M. Stayer (Hg.), A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521 – 1700, Leiden 2007. – Samme Zijlstra, Om de waare gemeente en de oude gronden. Geschiedenis van de dopersen in de Nederlanden 1531 -1675, Hilversum und Leeuwarden 2000.
Hans-Jürgen Goertz
Vielfältige Artikel über die Geschichte der Mennoniten finden sich im „Mennonitischen Lexikon Band V“ unter www.mennlex.de