Erinnern, Erzählen, Weitergeben – Zoom-Abend zur NS-Zeit mit Remy Stalter und Manfred Zeisset
Die Zoom-Gruppe zur Mennonitischen Familienforschung hatte am Montag, dem 5. Mai 2025, wieder einen Erzählabend zu Erinnerungen an die Nazizeit. Zeitzeugen waren diesmal Remy Stalter, geboren 1939 in Kaiserslautern, vom Wahlerhof bei Zweibrücken und Manfred Zeisset, geboren 1935 auf dem Markenhof im Dreisamtal bei Freiburg im Breisgau.
Remy Stalter berichtete, dass seine Vorfahrin 1672 mit ihren Kindern aus dem Kanton Bern in die Pfalz kam und durch die große Hilfsaktion der niederländischen Taufgesinnten für die Flüchtlinge die nötige Unterstützung bekam, um auf einem Pachthof einen neuen Anfang zu machen. Sein Ururgroßvater Christian Stalter, geb. 1781 auf dem Bickenaschbacherhof in Hornbach, der erste Stalter auf dem Wahlerhof, konnte dem französischen Militärdienst entgehen, indem er für einen Ersatzmann bezahlte. Das Dokument ist erhalten. Auf dem Frucht-Markt in Zweibrücken trafen sich die Mennoniten mit den jüdischen Händlern. Einer kam oft auf den Hof. Remys Vater sagte dann vorher der Mutter, Rosa geb. Hauter, Bescheid, damit sie koscher kochte. Die Achtung für jüdische Händler ging u. a. zurück auf einen Herrn Levi, der zwei Hauter Brüdern Kredit gab, um die Pacht Kirschbachermühle bewirtschaften zu können, die deren Vater heruntergewirtschaftet hatte. Es waren Adolf Hauter, der Vater von Remys Mutter, und dessen Bruder. Der Älteste der amischen Gemeinde hatte ihnen die Unterstützung verweigert. Remys älteste Schwester Elisabeth war Jungmädelführerin mit 60 Jungmädeln unter sich, lebte aber nicht auf dem elterlichen Hof. Es gab 8 französische und 8 russische Gefangene, 3 polnische Zwangsarbeiter und eine Polenfamilie auf dem Hof. Deutsche Truppen fügten dem Hof schwere Zerstörungen zu. Am 1. Januar 1945 wurde ein deutsches Flugzeug abgeschossen. Drei der toten Soldaten wurden auf dem hofeigenen 1903 gegründeten Friedhof begraben. Der Gedenkort wird für alle Zeiten erhalten. Beginnend mit Remys Urgroßeltern Jakob Stalter oo Elisabetha Hauter sind auf dem bis heute genutzten Friedhof viele seiner Verwandten begraben. Jakob Stalter starb 1902 kurz vor der Genehmigung des Friedhofs, die Familie bettete ihn um.
Manfred Zeisset wuchs mit 3 Geschwistern auf dem Markenhof bei Kirchzarten auf. Seine mütterlichen Großeltern Heinrich Bachmann vom Bonartshäuserhof und Lydia Fellmann von Neidelsbach hatten den Hof 1925 gepachtet. Sein Vater Johannes Zeisset heiratete 1931 deren Tochter Else und stieg in die Pacht mit ein.
Manfred erinnert sich, dass die Eltern 1939/40 vom Krieg sprachen, dass sie vier Pferde für den Kriegsdienst abgeben mussten und dass sein Vater für kurze Zeit eingezogen wurde. Auf dem Hof war der weibliche Reichsarbeitsdienst mit ca. 60 Leuten einquartiert. Der morgendliche Appell mit dem Hissen der Hakenkreuz-Fahne und Singen des Horst-Wessel-Lieds beeindruckte die Kinder. Im Herbst 1944 wurde nach dem Abzug des Reichsarbeitsdienstes eine Kompanie Veterinäre einquartiert. Als den Soldaten ein Kriegsfilm vorgeführt wurde, waren die Kinder neugierig. Die Soldaten ließen sie ganz vorne sitzen. Die Bilder dieses Kriegsfilms sind Manfred heute noch in Erinnerung. 1944/45 wurde die Schule geschlossen, weil die nahegelegene Bahnlinie beschossen wurde. Immer wieder erlebten die Kinder Luftangriffe durch Jagdbomber oder auch aus der Ferne die große Zerstörung der Stadt Freiburg im Breisgau im November 1944.
Sein Vater handelte bis 1937 mit einem jüdischen Viehhändler. Mit Schreiben vom 26.02.1937 wurde dieser Handel jedoch durch den Reichsnährstand, vertreten durch die Landesbauernschaft Baden „schärfstens missbilligt“. Vielmehr „wird von einem landwirtschaftlichen Lehrherrn gefordert, dass er in nationalsozialistischem Sinne vorbildlich auf die auszubildenden Lehrlinge und seine Berufsgenossen durch sein eigenes Beispiel wirkt“, so in dem Schreiben. Hans Zeisset wurde aus diesem Grund die Befugnis der Lehrlingsausbildung entzogen. Der jüdische Viehhändler, Julius Günzburger, musste sein Geschäft 1938 aufgeben und konnte der nationalsozialistischen Verfolgung einige Zeit entgehen. Nachbarn hatten ihn und seine Familie auf ihrem Hof versteckt gehalten, bis er Anfang 1945 mit seinen beiden Kindern in das Konzentrationslager Theresienstadt kam. Bei einem Sonntagsspaziergang hörte der damals neunjährige Manfred seine Eltern von „Herrn Günzburger“ und „versteckt“ reden und hatte bis vor kurzem noch die Vorstellung, dass Günzburger irgendwo versteckt die Verfolgung überlebt hat. Raphael Zeisset, Manfreds Sohn, bekam im April 2025 Kontakt zu einem Urenkel von Julius Günzburger, und fand heraus, wie die Familie den Nationalsozialismus tatsächlich überlebte und bis heute in vierter Generation als Viehhändler tätig ist.
Es gab lebhafte Nachfragen und Beiträge der Teilnehmenden. Weitere Informationen gibt es bei raphael.zeisset@gmx.net und Elisabeth.Kludas@t-online.de
Der nächste Zoom-Abend ist am Montag, dem 7.7.2025. Der geplante Erzählabend mit zwei Ibersheimer Frauen konnte nicht realisiert werden. Statt dessen wird Elisabeth Kludas über ihre Vorfahren, die Täuferfamilie Oswald Bär vom Albis im Kanton Zürich berichten.
Wie immer von 19:30 – 21 Uhr, Einwahl über