Vom Bauernstand zum Unternehmerstand – Familienforschung

Am Montag, dem 05.02. 2024 präsentierte  Diether Götz Lichdi zusammen mit seiner Familie „Vom Bauernstand zum Unternehmerstand – die Mennonitenfamilie Lichdi“. Seine Tochter Ulrike Arnold, Schriftleiterin der Mennonitischen Geschichtsblätter, gab eine kurze Einführung zum Leben ihres Vaters. Er ist 1935 in Braunschweig geboren und in Heilbronn aufgewachsen. Der zweite Weltkrieg prägte seine Jahre von vier bis zwölf.  Er heiratete 1957 die Lehrerin Elfriede Koch und hat 5 Kinder mit ihr. Er ließ sich in Mannheim, Karlsruhe, Chicago und Florida zum Kaufmann ausbilden und trat 1957 in die Gustav Lichdi AG ein, die sein Großvater gegründet hatte und wo er ab 1965 Vorstandsmitglied war, bis die Firma 1974 verkauft wurde. Ab 1971 war Diether Götz Lichdi 50 Jahre lang Prediger in der Mennonitengemeinde Heilbronn, später auch in Stuttgart. Er wandte sich dem Studium der Theologie, der Geschichte der Mennoniten und der eigenen Familiengeschichte zu, publizierte 1977 über Mennoniten im Dritten Reich und verfasste das Kompendium „Die Mennoniten in Geschichte und Gegenwart, von der Täuferbewegung zur weltweiten Freikirche“ von 1983. Bekannt ist er auch als Verfasser der „Täuferspuren im Kraichgau“ 2015 und Initiator und Mitherausgeber von „Schweizer Brüder in fremder Heimat, Mennoniten im Kraichgau“ 2018. Die bewegte Geschichte der Familie Lichdi wurde in Filmsequenzten von Diether Götz Lichdi erzählt, die seine Tochter Herrad und sein Schwiegersohn Martin aufgezeichnet hatten, unterstützt mit Folien. 

Die Lichtis waren Bauern im Emmental in der Schweiz, wo der Sognauer Vogt im Schloss Trachselwald residierte und 1671 Hunderte Berner Täufer vertrieb. Ein Georg Liecht, der 14 Taler bei sich hatte, war wohl der Sprecher der Vertriebenen. Mit dem Täufer Valentin Huetwohl von Kriegsheim koordinierte er die große Hilfsaktion der Niederländischen Taufgesinnten. Ein Ulrich Liechte ist mit  vier Reichstalern gelistet, die er mithat, und mit Frau und fünf Kindern, die er zurückgelassen hat. In den folgenden Jahrhunderten finden sich Lichtis im süddeutschen Raum zwischen Zweibrücken und Würzburg im Norden und der Schwäbischen Alb im Süden. Ulrich Lichti (1639-ca. 1675) war ab 1777 für 18 Jahre Müller in Imsweiler zwischen Kaiserslautern und Bad Kreuznach. Jakob Lichti (1665-1726), wohl sein Sohn, der im Emmental geblieben war und um 1690 zum Vater auf die Imsweiler Mühle kam, lebte auf der Daubhausmühle in Alsenz im Nordpfälzer Bergland. Christian Lichdi (1695-1749) war Pächter auf dem Gut der Burg Friedelsheim in der Vorderpfalz mit ca. 200 ha Land. Mehrere Familien Lichdi bewirtschafteten den Branchweiler Hof, heute Neustadt an der Weinstraße,  den sie später kauften. Jakob Lichti (1731-1802) pachtete den Wersauer Hof, heute ein Pferdehof, bei Reilingen östlich des Rheins im Rhein-Neckar-Kreis. Sein Sohn Johannes Lichti (1762-1818) heiratete 1791 die Witwe des Jost Glück, übernahm dessen Kinder und den Erbpachtvertrag des Neippergschen Gutes in Berwangen, 20 km westlich von Heilbronn. Es war mit 100 ha der wohl größte Hof in Berwangen. Johannes genoss Ansehen im Ort und war als Zeuge gefragt. Über fünf Generationen sind Lichdi und Glück miteiander verbunden. Sein Sohn einziger Sohn Jakob (1803-1873) lernte Landwirtschaft in Mönchzell und pachtete ein Gut des Klosters Lobenfeld am Rand des kleinen Odenwalds. Er heiratete Katharina Glück (1806-1870) von Altwiesloch. Die Geburten seiner zehn Kinder trug er in fünf verschiedenen Schreibweisen des Namens in seine Bibel ein und blieb am Ende bei Lichdi mit weichem d. Nur drei Kinder wurden erwachsen. 1856 bei der dritten Pachtausschreibung wurde er überboten. Danach pachtete er bis ca. 1668 den Faustenhof, das Gut der Rüdt von Collenberg in Bödigheim im Bauland zu deren Zufriedenheit. Er war zum Prediger gewählt, wahrscheinlich in Mönchzell, und übte in Bödigheim das Amt des Ältesten aus. 1848 unterzeichnete er mit anderen eine Petition an die Paulskirche um Erhalt der Wehrfreiheit.  Sein Sohn Johannes Lichdi (1835-1908) pachtete zusammen mit seiner ersten Frau Barbara Schmutz (1835-1868) 1861 den Dörrhof bei Rosenberg im Bauland, einen sehr großen Hof mit 225 ha Ackerland, der keinen guten Ruf hatte. Sein Vermögen war mit 12.000 Gulden bezeugt, das wären, geschätzt, um die 100.000 Euro heute, das er bis Ende seiner 25jährigen Pachtzeit samt seinem Inventar völlig aufgebraucht hatte. Von fünf Kindern aus der ersten Ehe überlebte Johannes, der Pächter auf dem Stolzenhof war,  bei Möckmühl knapp 30 km nördlich von Heilbronn, und 1890 nach USA auswanderte. Dessen beide Töchter starben kinderlos. Von den Kindern aus der zweiten Ehe mit Dina Kreiter (Christina Kreuter, 1844-1932) wurden vier Söhne und eine Tochter erwachsen. Als er 1888 den Dörrhof verlassen musste, waren seine lebenden Kinder 10-15, er selbst 53 Jahre alt, mittellos, ohne Einkommen, ohne Dach über dem Kopf. Erfolglos versuchte er ein Jahr lang den verwahrlosten Rosenhof bei Einöde, Zweibrücken zu bewirtschaften. Die übrige Familie wurde an Verwandte verteilt. Als geschlagener Mann ging er nach Sinsheim und stellte sich als Taglöhner zur Verfügung. Es war der Tiefpunkt in der Familiengeschichte. Aber auch der Ausgangspunkt für Neues.

Seine 44jährige Ehefrau Dina Kreiter sorgte für eine kaufmännische Lehre ihrer vier Söhne im Lebensmittelhandel, eröffnete selbst in den 1890er Jahren einen Laden in Kirchhardt bei Heilbronn und legte damit den Grundstein, dass die Lichdis heute in der 6. Generation Händler sind.

Sohn Gustav Lichdi (1876-1945), das vierte lebende Kind aus der zweiten Ehe von Johannes Lichdi mit Dina Kreiter, besuchte vom Dörrhof aus fünf Jahre die Schule in Rosenberg. Mit 12 Jahre musste er den Dörrhof verlassen und kam zu seiner Tante in Bundorf, Hassberge. Er schlief im Stall und hütete das Vieh auf dem Feld. 1890 kam er als Lehrling nach Mannheim. Dort arbeitete er von frühmorgens bis spät abends, nur der Sonntag Nachmittag war frei. Das mag ihn bewegt haben, später seine eigenen Läden sonntags grundsätzlich nicht zu öffnen. Er war fleißig, ehrgeizig, lernbegierig und ungeheuer sparsam. 1900 ging er zu Jakob Latscha nach Frankfurt, einem Mennoniten vom Kühbörncheshof nördlich von Kaiserslautern, der ab 1882 einen Lebensmittelfilialbetrieb aufgezogen und hatte und Gustavs Vorbild wurde. Im CVJM lernte er seine Frau Henriette Hunnius kennen, die er 1905 heiratete. 1904 eröffnete er seine erste Filiale in Heilbronn. Es gelang ihm, sich durchzubeißen. Mit seinen Prinzipien billige Preise durch Großeinkauf, Barverkauf, kein Sonntagsverkauf baute er bis zum Ersten Weltkrieg 22 Filialen mit 60 Mitarbeitern auf, zwischen 1924 und 1933 kamen 40 weitere Filialen  dazu,  die einen Umsatz  zwischen fünf  und sechs Millionen  erwirtschafteten Im „Dritten Reich“ wurden Kaufhäuser und Filialbetriebe zur unerwünschten Betriebsform erklärt und deshalb diskriminiert. Die Firmen wurden in ihrer Werbung eingeschränkt, Die Gründung neuer Filialen wurde untersagt. Kaufhäuser und Filialbetriebe mussten eine höhere Umsatzsteuer (+0.5% Umsatzsteuer) zahlen. Zwei fahrende Filialen musste er schließen. Nach mehrere Abmahnungen grüßte er schließlich mit Heil HItler und hängte ein Naziemblem in den Empfangsraum. Er war Mitglied bei Rotary und Freimaurer, überstand Razzien der Gestapo, unterstütze einen entarteten Künstler und einen entlassenen Journalisten. Seine Frau war Parteimitglied und Vorsitzende der Heilbronner Gruppe des Vereins für Deutsche Kulturbeziehungen im Ausland. Es darf vermutet werden, dass sie ihren Mann damit schützte. Gustav Lichdi starb am26.04 1945 in Liebenstein bei Neckarwestheim an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Das einzige Kind Kurt Lichdi (1907-2000) besuchte das Gymnasium. Mit 14 Jahren lies er sich aus eigenem Antrieb mennonitisch taufen. An seinem Glauben hielt er lebenslang fest. An der Musikhochschule Stuttgart bildete er sich zum Konzertpianisten aus. Arbeitsmöglichkeiten waren in der Wirtschaftskrise rar. 1934 trat er eine Stelle als Klavierlehrer an einem Konservatorium in Braunschweig an und heiratete die Ärztin Dr. Elisabeth Speidel. 1935, nach der Geburt von Diether Götz, kehrte er nach Heilbronn zurück und absovierte eine Ausbildung zum Kaufmann. 1936 trat er in die Gustav Lichdi AG ein. 1937 wurde er in den Vorstand berufen. 1939 wurde er zur Flugabwehr eingezogen und geriet 1944 in britische Kriegsgefangenschaft. Zusammen mit dem Tod seines Vaters, dem Kriegsende und der Führungslosigkeit hatte die väterliche Firma erhebliche Verluste erlitten. Mit Kurts Rückkehr und einem neuen Vorstand gelang der Wiederaufbau mit einer Expansion räumlich nach Eppingen, Walldürn, Stuttgart-Stammheim, Ansbach in Bayern, inhaltlich in Mitarbeiterschulungen, in die ersten Selbstbedienungsläden, die Verbreiterung des Warenangebots und den Aufbau großer Lichdizentren. Diether Götz Lichdi schilderte die weitere Entwicklung bis zum Verkauf der Gustav Lichdi AG Ende 1978. Inzwischen sind die Lichdis Händler in der 6. Generation seit Dinas Lebensmittelgeschäft in Kirchardt ab den 1890er Jahren. Kurt Lichdi trat zeitlebens weiter als Konzertpianist auf. Er übernahm Führungsaufgaben in mennonitischen Konferenzen und Werken, im Bibelheim Thomashof, war Delegierter bei der Weltkonferenz 1962 in Kitchener, Ontario, und in der Herausgeberkommission des internationalen Gemeindeblatts Der Mennonit. Für seine Initiative zur Gründung des Württembergischen Kammerorchesters Heilbronn erhielt er das Beundesverdienstkreuz. Mehr Informationen gibt es bei Diether Götz Lichdi <dglichdi@gmx.de>

Am 04.03.2024 hält Angelica Boldt einen Vortrag über „7 Jahre Mennogen Projekt“, ein Update zu ihrem Vortrag vom 07.02.2022. Damals berichtete die Professorin für Genetik aus Curitiba, Brasilien, dass die Folgen von schweren, langdauernden kollektiven Traumatisierungen, wie bei den Mennonitengruppen, die auf unterschiedlichen Fluchtrouten die Sowjetunion verlassen hatten, in nachfolgenden Generationen nachweisbar sind als erhöhtes Auftreten von körperlichen und seelischen Krankheiten. Sie sprach über das bunte Krankheitsbild der Zöliakie und ihre Häufigkeit besonders bei Mennoniten.

Inzwischen hat Angelica Boldt zusätzlich in Bolivien weitergeforscht. Sie wird berichten über das Metabolische Syndrom, das bei uns in den Medien als Wohlstandskrankheit diskutiert wird, mit Übergewicht, Bluthochdruck, Zucker- und Fettstoffwechselstörungen und weitereren Erkrankungen, gefördert durch körperliche Inaktivität, Stress, Rauchen und Alkohol. Wie hängen Metabolisches Syndrom, Zöliakie und Depression zusammen? Gibt es genetische Unterschiede zwischen Mennoniten und amischen Gruppen?

Wie immer von 19:30 – 21 Uhr, Einwahl über https://www.mennonitischer-geschichtsverein.de/mennonitische-familienforschung-per-zoom/